Daten aus dem sog. „EncroChat“ sind in deutschem Strafverfahren verwertbar
Daten aus Chats, welche bei der Nutzung des Krypto-Messengerdienstes EncroChat durch französische Ermittlungsbehörden abgefangen wurden, dürfen als Beweismittel in einem deutschen Strafverfahren verwertet werden. Nachdem zuvor das Landgericht Berlin die Verwertbarkeit verneint hatte, hat nunmehr das Kammergericht diese bejaht und eine auf diesen Daten basierende Betäubungsmittel-Anklage der Staatsanwaltschaft Berlin zur Hauptverhandlung zugelassen.
Das Landgericht lehnte die Eröffnung des Hauptverfahrens ab
Wegen unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hatte die Staatsanwaltschaft Berlin Anfang Mai 2021 gegen einen 32-jährigen Mann Anklage zum Landgericht Berlin erhoben. Mit seinen Lieferanten und Abnehmern, aber auch mit mehreren Mittätern soll sich der Angeklagte über den als besonders abhörsicher beworbenen niederländischen Kommunikationsdienst „EncroChat“ abgesprochen haben. Mit der Begründung, die Chatnachrichten des Angeklagten seien in einem deutschen Strafverfahren als Beweismittel nicht verwertbar, lehnte das LG die Eröffnung des Hauptverfahrens ab.
„EncroChat“-Daten durch französische Behörden ermittelt
Die gewonnen Daten stammen ursprünglich aus einem von französischen Behörden unter Beteiligung von Eurojust und Europol geführten Ermittlungsverfahren gegen die „EncroChat“-Betreiber. Mit Genehmigung eines französischen Gerichts wurde im Verlauf des Ermittlungsverfahrens unter anderem ein Server in Frankreich mit einer Überwachungssoftware infiltriert und es wurden die Daten von insgesamt 32.477 „EncroChat“-Nutzern in 121 Ländern, darunter in Frankreich und Deutschland, abgefangen. Entgegen der einschlägigen Rechtshilfevorschriften war es laut LG zu einer Unterrichtung der Bundesrepublik Deutschland über die Überwachung nicht gekommen.
Laut LG sei das Mobiltelefon des Angeklagten ohne konkreten Tatverdacht überwacht worden
Das LG ist der Ansicht, die Erhebung der Daten durch die französischen Ermittlungsbehörden verstieß sowohl gegen europäische Rechtsvorschriften (Richtlinie 2014/41/EU über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen) als auch gegen deutsche Vorschriften zur Überwachung der Telekommunikation. Die Überwachung des Mobiltelefons des Angeklagten sei insbesondere ohne konkreten Tatverdacht erfolgt. Es habe daher an einer grundlegenden Eingriffsvoraussetzung gemangelt, sodass die Überwachung insgesamt nicht mehr als rechtsstaatlich angesehen werden könne. Die Rechtsverstöße seien so schwerwiegend, dass sie zu einem Beweisverwertungsverbot führten.
Laut Kammergericht sind die „EncroChat“-Daten als Zufallsfunde verwertbar
Gegen den Beschluss des LG legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein. Das Kammergericht hat diesen Beschluss nun aufgehoben und das Verfahren vor einer anderen Strafkammer des LG eröffnet. Nach Ansicht des Strafsenats handelt es sich bei den Daten um sogenannte „Zufallsfunde“, welche nach den einschlägigen deutschen Vorschriften zur Überwachung der Telekommunikation (§100e Abs. 6 Nr. 1 StPO) verwendet werden dürfen. Im Übrigen gelte aufgrund des in Europa geltenden Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen ein eingeschränkter Prüfungsmaßstab. Im Ergebnis führe dies dazu, dass die nach französischem Recht gewonnen Erkenntnisse im deutschen Strafverfahren verwendet werden dürften.
Martin Rechtsanwälte
Fachanwälte für Strafrecht in Karlsruhe und Stuttgart